Ein Arbeitstag in der Kleinstadt Bangor in Wales …

 

… meiner Stadt. Nun war es wieder so weit, der berüchtigte Sonntagabend. Die Unzufriedenheit über die Tatsache, im Leben nichts erreicht zu haben, ließ mich missmutig dreinschauen. Der allmorgendliche Gang zur Arbeit, in die alte Schuhfabrik am Rande der Stadt, fiel mir im Alter zunehmend schwerer und montags ganz besonders. Ich legte den kurzen Weg zum altehrwürdigen Backsteingebäude stets zu Fuß zurück. Wenn ich es sah, huschte mir zwangsläufig ein Lächeln übers Gesicht. Aber warum dieser Widerspruch? Ich konnte ihn mir nie richtig erklären. Wahrscheinlich, weil das Gebäude ein Symbol der goldenen alten Zeit widerspiegelte..

Tag ein, Tag aus die gleiche, monotone Arbeit; Leder über den Leisten ziehen und nageln, mit diesen neumodernen Nagelpistolen. Die gute alte Handarbeit gehörte der Vergangenheit an, doch ich war kein Freund großer Veränderungen. Was heutzutage zählte waren nur noch Stückzahlen. Akkord. Kurz vor der Rente sollte ich noch einen neuen Kollegen einarbeiten, einen Ausländer obendrein, besser gesagt, einen Engländer – also ein Spacko. Als wenn die Tatsache nicht schon schlimm genug wäre, ruhte der sich auch noch ungeniert in der Arbeitszeit aus, war mehr mit Beobachtungen beschäftigt, wie anderen sich abmühten, um ihren Vorgaben zu genügen, statt selber Hand anzulegen, und lachte sich dabei ständig ins Fäustchen. Dieser Typ war aus seinem alten Job rausgeflogen, weil er dort ebenso wenig hatte arbeiten wollen. Daraus machte er keinen Hehl und nun sollte ich diesen Mistkerl zu Höchstleistungen motivieren. Warum ich? Weil ich der Älteste im Betrieb war? Ich hasste diesen Kerl, konnte es nicht leiden, wenn Männer abwertend über Frauen redeten und von sich meinten, sie seien beim weiblichen Geschlecht immer die erste Wahl. Hatte der eigentlich jemals in den Spiegel geschaut? Besaßen Engländer überhaupt Spiegel?

Hoffentlich blieb mir heute dieser unangenehme Mensch erspart. Ich hoffte so sehr, schließlich war heute Montag … Ach ja, neuerdings redete ich mit mir selbst, alles nur wegen dieser Person.

Zuerst zum Stempeln, wo mich mein Vorarbeiter Mr. Blone abpasste und gleich mit der Tür ins Haus fiel:

»Paul, du arbeitest heute mit dem Engländer, Spitzname Marokkaner.« Ja, so nannte man ihn auch, den Marokkaner.

»Oh nein, nicht schon wieder.« Mir blieb aber auch nichts erspart.

»Ach komm, so schlimm ist das auch nicht, alter Junge«, damit verpasste er mir einen Klapps auf die Schulter. Hatte der eine Ahnung, dachte ich.

Am Arbeitsplatz band ich mir in einem täglichen Ritual die abgewetzte Lederschürze um, die Laune hing im Keller. Ich bereitete sorgfältig die Nagelpistole für meine neun Stunden Schicht vor. Da schlich sich Meister Henri Howdi an, so wie es eine Marotte von ihm war.

»Guten Morgen, Paul.« Wieso, zum Henker, zog er so ein langes Gesicht, war doch gar nicht seine Art? Er stützte die Finger auf meine Werkbank, holte Luft und begann allen Ernstes mir einen Vortrag bezüglich Ausländerfeindlichkeit zu halten. Neuerdings sei es verboten rassistischen Witze zu reißen und das am frühen Morgen! Die Synapsen in meinem Gehirn begannen zu schmoren. Kurzer Hand beschloss ich, den Meister in den einstweiligen Vorruhestand zu versetzten. Den hochgelobte Druckluftnagler startklar in der Hand, nagelte der plötzlich dessen Finger auf den Tisch, nachdem ich zwei Mal unauffällig auf seinen Torso Richtung Herz gezielt und abgedrückt hatte. Blitzartiges Funkeln in seinen Augen signalisierte mir Herzkammerflimmern, der Glanz darin erstarb rasch. Da näherte sich mein verhasster Kollege. Rasch wische ich die Fingerabdrücke von der Nagelpistole, nahm meine Arbeitstasche auf und trat ihm augenzwinkernd entgegen.

»Na, alles klar, Kollege?« Hoffentlich ersparte er mir seine wochenendlichen Weibergeschichten, frei nach dem Motto, wie er irgendwelche Frauen in seiner Lieblingsstellung von hinten wild genommen hatte. Als ich letztes Mal nicht reagierte, tischte er mir ohne rot zu werden auf, dass er es einer Dreizehnjährigen ordentlich besorgt habe. Die reinste Provokation. Wenn der wüsste, wie nahe er dem Tod war. Ich mochte diese Art Mensch einfach nicht. Meine letzten Worte an ihn:

»Mir ist nicht so gut, gehe jetzt nach Hause.«

»Na Alter, blaumachen, was? Respekt.«, und lachte mich abfällig aus. Während ich ging, dachte ich, dass er Ähnlichkeit mit der gelben Zeichentrickfigur besessen hatte aus dem Fernsehen, nur in alt und mit dunklerem Teint. Sein fülliger Kopf glich einer reifen Melone mit Doppelkinn, die Augen quollen hervor. Seinen fetten Wanst schob er gemächlich vor sich her. Dazu packt er sich pünktlich wie ein Uhrwerk alle zehn Minuten an seine Gurke, sich brüstend, eine »Black Mamba« in der Hose zu haben. Die alte Hackfresse glich einem Neandertaler und so was schimpft sich Engländer. Immer wenn ich den sah, zappelte die scharfe Klinge im Cuttermesser, denn die fackelte nicht lange.

Ich konnte auch anders.

Dieser Mensch hatte es geschafft, sich 25 Jahre lang in der Arbeitswelt auf den Schultern anderer auszuruhen, unvorstellbar, aber sobald es auf Feierabend zuging, brach er Rekorde. Ich hatte nie jemanden schneller rennen sehen in seinen Arbeitsschuhen: Stets der Erste an der Stempeluhr. Bloß wenn der Arsch was tun sollte, jammerte er rum, meinte, dass ihm die schwerste Arbeit auferlegt worden sei.

Meine Hand ruhte auf dem Cuttermesser in meiner Arbeitshose. Es war mir ein Bedürfnis die Klinge Hildegard zu nennen, ein deutscher Name, denn die Deutschen standen für Gründlichkeit. So hieß auch meine Frau, und die war immer für eine Bratpfanne gut, wie ich am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.

Ich könnte meine alte Voodoo Puppe neu beleben, das hatte zumindest bei meiner Hildegard hervorragend geholfen. Gut, sie humpelte jetzt ein wenig … Bei meinem Kollegen sollte der Magen platzen oder etwas in der Art.

Am liebsten würde ich ihm die Kehle durchtrennen, doch das blieb nur Wunschdenken. Wollen wir mal sehen, wie er der Polizei den Mord an unserem Meister erklären will! Ich hatte die Schnauze voll von dem Kinderficker!

 

 

ENDE

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